Ungeklärt ist, ob sich die Erhöhung des CO2-Gehalts der Atmosphäre im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, die „Klimasensitivität“, nicht viel höher auf den Temperaturanstieg auswirken wird als bisher angenommen. Relativ sicher sind dagegen die Berechnungen bei einer Verdopplung des CO2-Gehalts, Levermann: „Der Pfad, auf dem wir gerade sind, führt uns aber bis zum Ende des Jahrhunderts zu 4 oder 5 Grad.“
Klimaveränderungen haben im Prinzip eine physikalische, vom Menschen unbeeinflussbare Ursache: Mit der Veränderung der Bahn der Erde um die Sonne verändert sich die Temperatur auf der Erde. Dieser Vorgang wiederholt sich zyklisch, Eiszeit und Warmzeit wechseln sich ab: Der Temperaturunterschied erreicht 5 Grad – über eine Distanz von jeweils 5.000 Jahren, stets begleitet von einem Meeresspiegelanstieg von 5 Metern. Der Meeresspiegelanstieg erstreckte sich in der Vergangenehit auf 1.000 bis 7.000 Jahre, so dass die Erhöhung auf 50 Zentimeter sich auf immerhin mindestens 1.000 Jahre verteilte. In 100 Jahren wuchs der Meeresspiegel also im ungünstigsten Fall um 5 Zentimeter. Wenn sich der Anstieg auf 7.000 Jahre verteilte entsprechend langsamer.
Der Temperaturunterschied, von dem wir jetzt sprechen, die Klimaerwärmung im globalen Mittel, beträgt 4 oder 5 Grad – in weniger als 100 Jahren, wenn wir den Pfad, auf dem wir gerade sind, beibehalten. Im schlimmsten Fall sind theoretisch sogar 8 bis 9 Grad bis 2200 vorstellbar.
Theoretisch gibt es eine Schwelle, ein „Kipp-Elemente im Klimasystem“ durch das gewissermaßen automatisch eine höhere Erwärmung erreicht würde, z.B. eine Erwärmung um 4 Grad automatisch auf 6 Grad hinauslaufen kann. Dies wird gerade untersucht. Ein „Kipp-Element“ ist auch im sozioökonomischen Bereich anzunehmen. „Die Unsicherheit beim Anstieg der globalen Mitteltemperatur kommt vor allem durch die Unbekannten in der Sozioökonomie zustande - nicht aus der Physik“, sagt Levermann:
„Ich persönlich glaube nicht, dass die Gesellschaftsform, wie wir sie derzeit in Europa gewohnt sind, mit Rechtsstaatlichkeit, bürgerlichen Freiheiten und wirtschaftlicher Prosperität, solch einen rapiden Temperaturanstieg überstehen würde.“Die Risiken und die Folgen der Erderwärmung sind möglicherweise (!) noch handhabbar, wenn die Erwärmung so niedrig wie möglich liegt und entsprechende Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden, d.h. der CO2-Ausstoß muss bis 2050 weltweit um wenigstens 50-80 Prozent und danach auf Null reduziert werden.
Aus naturwissenschaftlicher Sicht lässt sich das globale Problem lösen. Aber das wird nicht reichen. Und „Verzicht ist nicht schnell und umfassend genug“ (Levermann). Damit sind alle persönlichen Anstrengungen zwar nicht nutzlos, aber ineffizient, d.h. gesellschaftlich ohne durchgreifenden Erfolg. Der Weg führt über die Politik. Die Ressourcenausbeutung müsste sofort beendet werden und wir müssten Wirtschaftswachstum neu definieren. Dies beinhaltet aber nicht nur den Bruch mit dem eigenen Wohlstandsverhalten, sondern einen Bruch mit dem zu einem System verfestigten Auffassungen und Wirtschaftshandeln. Und wer sollte diesen Bruch initiieren, schnell und umfassend? Und wer erklärt den aufstrebenden sozialen Schichten in den Entwicklungsländern, dass die westlichen Industrienationen ihnen nicht den Wohlstand vorenthalten möchte, den sie seit Jahrzehnten für sich selbst in Anspruch nehmen?
Quelle: n-tv, Interviev mit Anders Levermann, 25.11.2010
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