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Sonntag, 3. Juli 2011

Gibt es wirklich einen gesellschaftlichen Konsens beim Atomausstieg?

Angeblich gibt es einen Konsens in der Bevölkerung über den Atomausstieg. Dies behaupten jedenfalls die Gegner der Kernenergie.
101 Verbände, Kirchen und Unternehmen legten ein eigenes "Konsenspapier" vor, in dem sie sich für einen schnellen Atomausstieg und den "Umbau zu einer sozialverträglichen, ökologisch nachhaltigen und wirtschaftlich sowie klimapolitisch zukunftsweisenden Energieversorgung" aussprachen.

Download Papier "Sechs Eckpfeiler für eine klima- und energiesichere Zukunft" (PDF-Datei, 1217 KB) mit der vollständigen Logoliste der unterzeichnenden Organisationen.
Die 110 Organisationen gehören dem Netzwerks "Klima-Allianz" an, darunter Misereor, das Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen, Brot für die Welt, das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, das Forum Umwelt und Entwicklung, die Deutsche Umwelthilfe, WWF (Energieeffizienz und Gebäude) und die IG Bau. Die Geschäftsstelle der Klima-Allianz Deutschland ist beim Forum Umwelt & Entwicklung angesiedelt. Zur Führungsgruppe (Vorstand)  gehören ein Forschungsfeldleiter des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, ein Referent der Heinrich Böll Stiftung, ein Ministerialdirigent a.D., zuletzt Unterabteilungsleiter im BMZ ( Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.), ein Ministerialdirektor a.D., zuletzt Abteilungsleiter im BMU (Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) und der stellvertretende Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
"Die Menschen wollen jetzt eine Umkehr zum Leben", sagte Cornelia Füllkrug-Weitzel, die Direktorin des evangelischen Werkes "Brot für die Welt". Woher weiß sie, was "die Menschen" wollen? Wurden "die Menschen" je gefragt, ob sie auf die Kernenergie verzichten wollten? Waren die vergangenen 40 Jahre mit zuverlässiger Stromversorgung der Tod, so dass jetzt eine "Umkehr zum Leben" angesagt ist?

"Die Bevölkerung wird es der Bundesregierung nicht durchgehen lassen, wenn sie jetzt nicht ernst macht mit der Energiewende. Drei Viertel der Bürger sind nach einer aktuellen Forsa-Umfrage sogar bereit, vorübergehend höhere Strompreise in Kauf zu nehmen, damit der beschleunigte Umstieg auf Erneuerbare Energien und zu mehr Energieeffizienz gelingt", sagt Christoph Bals, der politische Geschäftsführer von Germanwatch. Er sollte wissen, dass die Anworten, die ein Meinungsforschungsinstitut bei Befragten generiert, nur so aussagefähig sind wie die Fragen, die gestellt werden und keine Abstimmung ersetzen können. Was heißt: "vorübergehend", wurde gefragt für wie lange? "Höhere Preise", wie hoch? Und welche Vorstellungen hat Germanwatch für den Fall, dass die Preiserhöhungen zu hoch und nicht nur vorübergehend sind: Könnte "die Bevölkerung" dann mit Hilfe einer Forsa-Umfrage den Ausstieg aus der Energiewende und die Forderung nach Nutzung der Kernenergie durchsetzen?

Es geht bei dem gesellschaftlichen Konsens für die Energiewende primär um die Sicherung des eigenen Wohlstands

Christoph Bals (Germanwatch): "Die Menschen werden die Bundesregierung daran messen, ob sie den Umstieg in ein Wohlstandsmodell jenseits der Risiken von Atomkraft und Kohle organisiert." Worum es in Wirklichkeit geht, ist also nicht etwa der Klimaschutz, der in der Regel aber mit aufgezählt wird, oder um ein besseres Leben der Menschen in armen Ländern, sondern um den eigenen Wohlstand.

Das "Wohlstandsmodell" beinhaltet die Vorstellung eines nationalen Wirtschaftsaufschwungs, den auch Regine Günther, Leiterin Klima- und Energiepolitik beim WWF, im Auge hat: "Wichtige Ergebnisse sollten die Verständigung auf eine Bundesplanung für den Netzausbau, ein Programm zur Beseitigung von Hemmnissen für den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie Energieeinsparinvestitionen in allen Bundesländern sein." Sie erwartet deshalb "ein deutliches Bekenntnis der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten zum beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien und der drastischen Steigerung der Energieeffizienz".

Das Konsenspapier, sagen die 101 Verbände, gebe der Regierung für die angestrebte Wende in der Energiepolitik die notwendige Richtschnur und die breite gesellschaftliche Basis, nach der sie verlange. Wann und wo haben die Mitglieder der Verbände darüber abgestimmt?

Auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen  warb für einen breiten gesellschaftlichen Konsens beim geplanten Atomausstieg. Die Energiewende sei ein Investitionsprogramm und biete große Wachstumschancen, sagte Röttgen im Bundestag. Die unterschiedlichen Vorstellungen über die Geschwindigkeit des Ausstiegs aus der Kernenergie sind unbedeutend, gemessen an den gemeinsamen Zielen, die Wirtschaft in Deutschland zu stärken und die Forderung umzusetzen: "Deutschland muss jetzt in Europa voran gehen". Dies sagte übrigens Stefan Krug, Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace. Warum muss Deutschland in Europa vorangehen? Ist es von den anderen europäischen Ländern darum gebeten worden?

Am 15.04.2011, nur wenige Meter Luftlinie vom sogenannten "Energiegipfel" der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Kanzleramt entfernt, fand unter dem irreführenden Veranstaltungsthema "Entwicklungsland Deutschland" die Feier zum 20. Jubiläum von Germanwatch statt. Darüber berichtete am 18.04.2011 u.a. die Online-Zeitung weser-ems.business-on.de, Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft diskutierten "den notwendigen gesellschaftlichen Umbau in einer Zeit der Klima-, Energie- und Ernährungskrise". Dabei sei es um "die Rolle Deutschlands für eine große Transformation unserer Gesellschaft" gegangen. Bei der Feier gaben sich, wie das Blatt berichtet, Klaus Töpfer, Vorsitzender der Ethik-Kommission, Michael Otto, Unternehmer und Vorsitzender der 2°-Initiative, Robert Watson, Ex-Chef des Weltklimarates (IPCC), der Bremer Umweltsenator Reinhard Loske (Grüne) und Kumi Naidoo, Chef von Greenpeace International, sowie Peter Liese, Umweltpolitiker im Europäischen Parlament, tags zuvor auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), SPD-Bundesvorstand Ulrich Kelber und Grünen-Chef Jürgen Trittin die Klinke in die Hand.
Die Botschaft sei klar, verkündete Klaus Milke, Vorstandsvorsitzender von Germanwatch.
"Deutschland muss nun mutig voranschreiten und neue Signale setzen. Dadurch könnte sich auch die EU zu einem Vorreiter für eine grüne Wirtschaft etablieren." "Nach dem schwerwiegenden Unfall in Fukushima schauen nun viele weltweit auf Deutschland. Wie gelingt der Einstieg in ein neues Wohlstandsmodell jenseits der Risikoenergieträger Kernkraft und Kohle? Der Umstieg auf Erneuerbare Energien, größere Energieeffizienz, neue Netze und Speichermöglichkeiten muss andere Staaten anspornen, hier mitzuziehen." 
Zum Energiegipfel sagte Christoph Bals: "Zentral ist jetzt, dass das Sechs-Punkte-Papier der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten nun weiterentwickelt und umgesetzt wird. Wir brauchen einen wirklichen Einstieg in die notwendige Energiewende. Wer jetzt wieder - wie im Herbst 2010 - die notwendigen Maßnahmen zerredet und kurzfristigen Interessen opfert, vergibt eine historische Chance für Deutschland und die EU."  (weser-ems.business-on.de) Bundesregierung: 6 Punkte für eine beschleunigte Energiewende in Deutschland, Stand: 7 April 2011, pdf

Von einer historischen Chance hätte man wahrscheinlich sprechen können, wenn beschlossen worden wäre, mit Hilfe der Kernenergie fossile Rohstoffe zu ersetzen, bezahlbare Energiewandler weiter zu entwickeln, die nicht nur Deutschland, sondern entsprechend modifiziert auch den Entwicklungsländern hätten zur Verfügung gestellt werden können. Aber das Ziel der erneuerbaren Energien ist eben nicht primär der Klimaschutz oder die Sorge um die Milliarden von Menschen, die in Armut leben und dringend eine eigene Energiewende brauchten  - das Ziel ist, wie Milke (Vorstandsvorsitzender von Germanwatch) sagt, Deutschlands und Europas "Einstieg in ein neues Wohlstandsmodell".

Die Energiewende ist Teil einer parteiübergreifenden, politischen Strategie

Am heutigen Tag, 03.07.2011, haben in Berlin zweitägige Diskussionen über den weltweiten Klimawandel begonnen. Am «Petersberger Klimadialog» nehmen 35 Staaten teil, die Kompromissmöglichkeiten für die internationale Klimakonferenz Ende des Jahres in Südafrika ausloten sollen. Nachdem weltweit vermerkt wurde, dass Deutschland sich mit der Energiewende von gemeinsamen Klimazielen verabschiedet hat, bekommt die Frage des Klimas jetzt ein besonderes Gewicht, so dass die Bundesregierung Fortschritte bei der Begrenzung der globalen Erderwärmung sogar anmahnt. "Sollte dieses Ziel verfehlt werden, drohten Hunger, Armut, Flüchtlingsströme und Krieg, warnen Kanzlerin Merkel und Umweltminister Röttgen." Dies müsste ihnen allerdings vor dem Ausstieg aus der Kernenergie und dem Ausbau der Kohlekraftwerke bekannt gewesen sein.

Der Klimawandel kann nicht direkt in einen Krieg münden, dies ist völliger Unsinn, aber das Verhalten der Industrienationen, die ihren Wohlstand aufrecht erhalten wollen, kann zu Kriegen mit aufstrebenden Industrienationen und wenig entwickelten Ländern führen. Dies wusste auch der damalige Bundespräsident Horst Köhler, der anlässlich eines Interviews bei einem Rückflug aus Afghanistan vor einem Jahr einen Krieg als eine Möglichkeit der Wohlstandssicherung  verteidigte. Ein paar Tage später dankte er überraschend ab. "Wirbel um Äußerungen von Bundespräsident Köhler. Krieg für Wirtschaftsinteressen?" hieß es im Titel von tagesschau.de (mit Auszug aus der Rede Köhlers). War Köhler einfach nur vorschnell?

Die Energiewende stärkt den vor Fukushima bereits vorhandenen ökologisch-industriellen Komplex, der erst nach dem Ereignis in Fukushima richtig in Schwung kam.
Nicht nur in diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick auf den Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC), der von den Regierungen der Mitgliedsländer gebildet wird. Die Absicht des IPCC ist, einen "gefährlichen Klimawandel" verhindern zu wollen.
Der diesjährige  Kurzbericht des IPCC wurde anlässlich der Tagung des "Weltklimarates" am 09.05.2011 in Abu Dhabi vom Mitautor Sven Teske (von Greenpeace International) und Stephan Singer (Umweltstiftung WWF) mit den Worten vorgestellt: "Der Report zeigt, dass es wissenschaftlich keine Probleme gibt, die Welt mit alternativen Energien zu versorgen". Bis 2050 seien 80% erreichbar. Diesen Jubel teilten auch die Medien - und übersahen einen kleinen "Schönheitsfehler": "Wenn wir also davon ausgehen, dass 80 Prozent des Energiebedarfs durch erneuerbare Energien abgedeckt werden, dann nur zu dem Preis, dass die große Mehrheit der Menschen innerhalb einer Generation von der Erde verschwindet oder bettelarm dahin vegitiert". Lewis Page hatte die angegebenen Zahlen an Hand öffentlich vorliegenden Datenmaterials nachgerechnet. Das IPCC, Greenpeace oder WWF haben ihre Angaben meines Wissens bis heute nicht revidiert oder kommentiert.

Alte und neue Kriege

Um die Energiewende durchzusetzen, brauchen die Parteien und die Industrie den gesellschaftlichen Konsens, aber geht der Konsens der alten und der sich entwickelnden Industrienationen so weit, die Auslöschung eines großen  Teils der Menschheit in Kauf zu nehmen? Eher nicht, so dass die Eile, mit der zurzeit neue Gesetze durchgedrückt werden, durchaus einen Sinn ergibt: Fakten schaffen, bevor die Menschen anfangen, die Machbarkeit eines Energiewandels zu hinterfragen.

Die Geschichte wiederholt sich nicht, oder doch? "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche." Mit diesem Satz verkündet Kaiser Wilhelm II 1914 dem deutschen Reichstag den Burgfrieden und damit sein Einverständnis zum Krieg. Zwar unterscheiden sich Ausgangslage, Anlass und Zielsetzung, Deutschland hat auch keine Monarchie und es gibt kein Attentat in Sarajewo, aber wir wurden aus einem angeblich trügerischen Frieden gerissen, nicht durch Fukushima, sondern durch die Antiatomkraft-Welle und die ständigen Wiederholungen von Bildern aus der durch Erbeben und Tsunami zerstörten Region Japans, einschließlich des Atomkraftswerks,  immer in Verbindung mit der Werbung für Erneuerbare Energien, denn Atomkraft sei tödlich, unbeherrschbar, unbezahlbar. Unvorstellbar, dass wir angstfrei mehr als 40 Jahre zuverlässig mit Atomstrom versorgt wurden! Die Deutschen wurden mit Hilfe von Fukushima zusammengerückt, gefragt wurden sie nicht.

In seiner Rede an das deutsche Volk betonte Wilhelm II, dass er zwar den Frieden erhalten wolle, die Situation aber keine andere Möglichkeit offen ließe, als das "Sein oder Nichtsein" des deutschen Volkes auszufechten. O-Ton: "Darum auf zu den Waffen. (...) Wir werden uns wehren bis zum letzten." Sagte nicht unlängst der CSU-Politiker Horst Seehofer beim politischen Aschermittwoch der CSU in Passau am 9. März 2011, „bis zur letzten Patrone“ werde sich die Berliner Koalition dagegen sträuben, dass „wir eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsystem bekommen“? Mehrere Ex-Abgeordnete der SPD hatten dagegen Strafanzeige gestellt und die Grünen seien "empört", berichtete der Tagesspiegel. Der Durchhaltebefehl, Berlin „bis zur letzten Patrone“ zu verteidigen, stammt ebenfalls von einem 9. März – 1945, wie Ulrich Kasparick, früherer Parlamentarischer Staatssekretär im Bildungs- und dann im Verkehrsministerium, auf seinem Internetblog schrieb.

1914 schien die von vielen oft vermisste innere Einheit Wirklichkeit geworden zu sein. "Aber sie war nur in der Stimmung des Augenblicks und oberflächlich hergestellt. Die unerwartet lange Dauer des Krieges, durch die dem Volk immer schwerere Belastungen zugemutet wurden, ließ die unterschiedlichen Standpunkte und die gravierenden sozialen Gegensätze bald wieder hervortreten. Der Burgfriede endete schließlich mit der gegen Ende des Jahres 1916 einsetzenden heftigen öffentlichen Diskussion über die Kriegsziele." Deutsche Geschichten.
Der gesellschaftliche Konsens war ein Produkt der Propaganda. Als in der Bevölkerung die Ernüchterung einsetzte und endlich die Diskussionen begannen, herrschte bereits seit zwei Jahren Krieg.

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